Was Stretching kann und was es nicht kann…
Immer wieder fragen mich Kunden, ob und wie sie Stretchen sollen bzw. was ich davon halte. Meine Antwort lautet immer: Wenn es dir gut tut, mach es!
Ich selber dehne nicht und bin kein grosser Fan von Stretching (ausser vom passiven Stretchen durch eine andere Person – dazu später). Besser finde ich es, wenn man diese Zeit ins Training von schwachen Muskelgruppen (die dann als «verkürzt» gelten) investiert oder in solche, die in einer Haltungsverbesserung resultieren.
Dennoch kam die Frage so oft, dass es an der Zeit ist, die Effekte von Stretching auch nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu untersuchen. Schliesslich sind nun 10 Jahre vergangen seit dem Abschluss des Sportstudiums und Dinge ändern sich schnell. Für diesen Artikel wurde also nach guten Studien, in erster Linie Reviews, zum Thema Dehnen und Stretchen gesucht. Folgende Schlüsse konnte ich aus den unten genannten Studien ziehen:
Dehnen und Beweglichkeit:
- Stretching hat keinen Einfluss auf den Aufbau bzw. die Länge des Muskels oder der Sehnen, selbst dann nicht, wenn mehrmals wöchentlich und länger gedehnt wird (20 Minuten pro Woche während 3-8 Wochen).
- Kürzere aber häufigere Dehnsequenzen sind vorteilhafter, wenn auch in ihrer Wirkung eingeschränkt (siehe 1.). Also lieber mehr wöchentliche Frequenz als 1x pro Woche und dafür lange.
- Es finden sich kaum Unterschiede bezüglich PNF (proprioceptive neuromuscular fasciliation) und statischem Stretchen. Beim PNF wird vorher der Antagonist des zu stretchenden Muskels kurz aktiv angespannt.
- Anpassungen finden vor allem auf sensorischem bzw. neuralem Level statt, was bedeutet, dass das Nervensystem besser mit dem Schmerz bzw. Stretch umgehen kann.
- Allfällige Anpassungen oder Verbesserungen in der Beweglichkeit (ROM – Range of Motion) hielten für weniger als 30 Minuten an und sind auf die oben genannte gesteigerte Toleranz zurückzuführen.
Dehnen und Wettkampf:
- Dynamisches Stretchen zeigt keine bis eine minimale Leistungsverbesserung, sofern unmittelbar vor der Aktivität gemacht. Statisches und PNF Stretchen hatten einen negativen Einfluss auf die Leistung.
- Beweglichkeit (ROM) und Verletzungsanfälligkeit nahmen nach einem Stretching im Warm-up zu bzw. ab. Hier scheint es also durchaus positiv zu sein.
«Zu guter Letzt» bietet unsere im vorletzten Newsletter vorgestellte Nadja ab sofort «Passives Stretching» im Gym an. Während 25 bzw. 55 Minuten liegst du mehr oder weniger entspannt auf der Liege und wirst von ihr gestretcht. Durch die verbesserte Beweglichkeit kann anschliessend in grösserem ROM trainiert werden, was sich positiv auf den Trainingseffekt auswirkt.
Natürlich kann es auch sonst angewendet werden, wenn es dir gut tut 🙂 Meine bisherige Antwort war also gar nicht so falsch.
Quellen
- Behm et al., 2016: Acute effects of muscle stretching on physical performance, range of motion, and injury incidence in healthy active individuals: a systematic review.
- Freitas et al., 2018: Can chronic stretching change the muscle-tendon mechanical properties? A review.
- Konrad et al., 2014: Increased range of motion after static stretching is not due to changes in muscle and tendon structures.
- Lempke et al., 2018: The Effectiveness of PNF Versus Static Stretching on Increasing Hip-Flexion Range of Motion.
- Mandroukas et al., 2014: Acute partial passive stretching increases range of motion and muscle strength.
- Sharman et al., 2006: Proprioceptive neuromuscular facilitation stretching : mechanisms and clinical implications.
- Thomas et al., 2018: The Relation Between Stretching Typology and Stretching Duration: The Effects on Range of Motion.